Herausgeber: Clemens Kochinke
Attorney at Law u. Rechtsanwalt i.R., USA

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Kann und darf: Gerichtswahlklausel
30. Nov. 2023
CK - Washington.   Der kleine Unterschied zwischen kann und darf, und oft auch muss, zeigt im Revisionsentschied v0m 30. November 2023, wie kritisch diese Unterschiede bei einer Gerichtswahlklausel wirken. Can und May sind hier streng zu unterscheiden, während in Deutschland selbst Juristen recht unsorgfältig diese Hilfsverben einsetzen.

Der Revisionsentscheid Flextronics Da Amazonia Ltda. v. CRW Plastics USA Inc. des Bundesberufungsgerichts des Zweiten Bezirks der USA in New York City wurde von einer Gerichtsstandsklausel ausgelöst, die besagt, dass eine Klage vor einem bestimmten Gericht erhoben werden kann - May. Die Klausel bestimmte auch, wie erforderlich, dass andere Gerichtsstände ausgeschlossen sind. Das Untergericht konnte keine personal Jurisdiction, die örtliche Zuständigkeit für die nicht bezirksansässigen Beklagte und wies die Klage sua sponte ab. Die Klausel sei permissive, gestattend, und nicht zwingend.

Die Revision hob die Entscheidung auf und erklärte, das Kann beziehe sich auf die Möglichkeit der Klageinreichung und nicht auf eine Uneindeutigkeit der Gerichtswahl. Diese sei zwingend gestaltet. Wahrscheinlich hätte die Klägerin den teuren Umweg über die Revision vermieden, wenn ihre Klausel von shall - muss - bei der Klagerechtsausübung gesprochen hätte. Hier die Klausel:
THIS GUARANTY SHALL BE IN ALL RESPECTS GOVERNED BY, AND CONSTRUED IN ACCORDANCE WITH, THE LAWS OF THE STATE OF NEW YORK, WITHOUT REGARD TO PRINCIPLES OF CONFLICTS OF LAWS. ANY PROCEEDING ARISING OUT OF OR RELATING TO THIS GUARANTY MAY BE BROUGHT IN ANY COURT LOCATED IN NEW YORK CITY, STATE OF NEW YORK, UNITED STATES OF AMERICA, AND EACH OF PARENT AND THE SELLERS IRREVOCABLY SUBMITS TO THE EXCLUSIVE JURISDICTION OF EACH SUCH COURT IN ANY SUCH PROCEEDING, WAIVES ANY OBJECTION IT MAY HAVE TO VENUE OR TO CONVENIENCE OF FORUM, AGREES THAT ALL RELATED CLAIMS SHALL BE HEARD AND DETERMINED ONLY IN ANY SUCH COURT AND AGREES NOT TO BRING ANY PROCEEDING ARISING OUT OF OR RELATING TO THIS GUARANTY IN ANY OTHER COURT.

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Überraschende Nebenkosten: Verordnung
11. Nov. 2023
CK - Washington.   Die Federal Trade Commission in Washington, die als Kartell-, Verbraucherschutz- und Datenschutzamt wirkt, stellte am 9. November 2023 eine neue Verordnung vor, die überraschende Nebenkosten vor allem bei Online-Transaktionen vermeiden soll. Sie stellte im Federal Register, dem Bundesanzeiger, den Verordnungsentwurf unter dem Titel Trade Regulation Rule on Unfair or Deceptive Fees vor.

Der auf der Verordungssetzungsmacht der FTC in 16 CFR Part 464 beruhende Entwurf basiert auf Untersuchungen des Amts und Kommentaren aus der Öffentlichkeit, die erheblichen Missbrauch von landesweit geltenden Bestimmungen über Klarheit und Deutlichkeit von Preisangaben belegen. Besonders in der Kritik stehen über mehrere Seiten verteilte und erklärte Angaben über Gebühren und Nebenkosten, die den anfangs dem potentiellen Kunden angezeigten Preis weit übersteigen oder ihn überraschen. Außerdem stellte das Amt fest, dass manche Nebenkosten und Gebühren zwar erklärt werden, aber betrügerisch oder täuschend verlangt werden.

Das Amt und die Öffentlichkeit sind der Ansicht, dass eine Verordnung notwendig ist. Auch Onlineanbieter unterstützen das Vorhaben, weil ehrliche Anbieter mit klaren Preisangaben im Wettbewerb teurer wirken als die Konkurrenten, die ihre Nebenkosten verstecken oder falsch erklären. Soweit Einzelstaaten der USA bereits weitergehende Regelungen zum Schutz von Verbrauchern einsetzen, gehen diese der neuen bundesrechtlichen Verordnung vor.
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Zurück zum uneinheitlichen Presserecht
21. Okt. 2023
CK - Washington.   Wie im Waffenrecht pocht der seit trump einflussreiche Supreme Court-Richter Thomas auf die Rückkehr des Presserechts zum bei der Gründung der USA geltenden Recht. Das bedeutet die Abkehr vom einheitlichen Maßstab der Verleumdungsmerkmale, die sich zwar nach einzelstaatlichem Recht unterschiedlich darstellen, aber von der bundesverfassungsrechtlichen Garantie der Pressefreiheit geprägt werden.

Die Verfassungsrechtsprechung fordert seit 1964, seit dem Entscheid in New York Times Co. v. Sullivan, 376 U. S. 254 (1964), Böswilligkeit der beklagten Presse bei behaupteter Verleumdung von Personen des öffentlichen Interesses. Eine versehentliche oder unbeabsichtigte Verleumdung führt nicht zur Haftung.

Thomas erklärte am 10. Oktober 2023 in der Entscheidungsbegründung im Fall Blankenship v. NBCUniversal LLC, dass die Rechtsprechung von 1964 zu revidieren sei. Verleumdungsrecht müsse einzelstaatliches Recht bleiben, und die Gerichte müssten sich am zur Zeit der Gründung der USA geltenden Recht orientieren. Dieses habe auch verfassungsrechtlich nicht den Böswilligkeitsfaktor gekannt. Er zitiert sich:
"The common law of libel at the time the First and Fourteenth Amendments were ratified did not require public figures to satisfy any kind of heightened liability standard as a condition of recovering damages." McKee v. Cosby, 586 U. S. ___, ___ (2019) (THOMAS, J., concurring in denial of certiorari) (slip op., at 6).

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Anspruch auf Löschung des Kontos eines Dritten
18. Okt. 2023
CK - Washington.   Der Inhaber eines dreimal minimal verletzten Videourheberrechts verklagte ein Forum, auf dem der verletzende Forumskunde unerlaubt einen Ausschnitt eingestellt hatte, weil das Forum zwar die verletzenden Werke gelöscht, aber nicht das Kundenkonto gelöscht hatte. Das Forum habe seinen eigenen Nutzungsvertrag rechtswidrig ignoriert, der Kunden die Kontolöschung nach drei Urheberrechtsverletzungen androhe, und damit gegen den Digital Millennium Copyright Act verstoßen.

Das Bundesberufungsgericht des Zweiten Bezirks der USA in New York City erörterte in seiner Begründung vom 17. Oktober 2023 im Fall Business Casual Holdings, LLC v. YouTube, LLC zunächst ausführlich, dass dem Kläger gegen das Forum kein Schadensersatzanspruch nach Urheberrecht wegen der Rechteverletzung durch den Kunden zustehe, und wandte sich dann dem behaupteten DMCA-Anspruch zu.

Der DMCA gewährt den Betreibern von Internetauftritten eine Haftungsbefreiung bei behaupteten Urheberrechtsverletzungen unter der Bedingung, dass sie Urheberrechtsinhabern die Möglichkeit der Kontaktaufnahme zur Beantragung einer Löschung eines geschützten Werks anbieten und prompt auf das Löschungsbegehren reagieren. Rechtlich gilt diese DMCA-Regel als Einrede, nicht als Anspruch, wie das Gericht erklärt:
The DMCA safe harbor provision that Business Casual relies on is an affirmative defense that a defendant may assert when a plaintiff sufficiently alleges a viable claim of prima facie copyright infringement. See 17 U.S.C. § 512(l) (“The failure of a service provider’s conduct to qualify for limitation of liability under this section shall not bear adversely upon the consideration of a defense by the service provider that the service provider’s conduct is not infringing under this title or any other defense.”); see also Capitol Recs., LLC v. Vimeo, LLC, 826 F.3d 78, 94 (2d Cir. 2016) (“[T]he safe harbor is properly seen as an affirmative defense, and therefore must be raised by the defendant.”); CoStar Grp., Inc. v. LoopNet, Inc., 373 F.3d 544, 555 (4th Cir. 2004) (“[T]he DMCA is irrelevant to determining what constitutes a prima facie case of copyright infringement.”). In other words, there is no affirmative cause of action for any alleged failure by YouTube to apply its Repeat Infringer Policy in accordance with the DMCA’s safe harbor provisions.
Dass das Forum angeblich die eigenen Forumsregeln über den Ausschluss von Mehrfachverletzern, Repeat Infringers, ignoriert haben soll, ist demnach irrelevant und führt zu keinem Schadensersatzanspruch des Urheberrechtsinhabers gegen das Forum. Der DMCA befreit bei prompter Löschung von Werken von der Haftung nach dem Copyright Act und verlangt vom Forum keine Löschung von Kundenkonten. Hier hielt das Forum auch die erforderliche vertragliche Regelung für Mehrfachverletzer vor; dieser Vertrag ist jedoch nicht als Anspruch des Urheberrechtsinhabers durchsetzbar.
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Überstunden in den USA: Aktualisierung
16. Sept. 2023
CK - Washington.   Nur in wenigen Bereichen darf der Bundesgesetzgeber ins Arbeitsrecht eingreifen, und im Überstundenrecht hat er es mit dem Fair Labor Standards Act gewagt. Seine Verfassungsvereinbarkeit ist mittlerweile unbezweifelt, aber seine Überstundenregelungen gelten nur, soweit die Einzelstaaten nicht bessere Bedingungen für Arbeitnehmer vorschreiben.

Am 8. September 2023 verkündete das Arbeitsministerium des Bundes eine Aktualisierung der Gehälter, bei denen Überstunden vergütet werden müssen, unter dem Titel Defining and Delimiting the Exemptions for Executive, Administrative, Professional, Outside Sales, and Computer Employees. Es ändert nicht die grundsätzliche Regel, dass jede Stunde über 40 Arbeitsstunden je Woche mit dem Eineinhalbfachen des Normallohns zu vergüten ist. Wochenend- und Feiertagsarbeit zählen nicht als Überstunden, solange die magische Zahl 40 pro Woche nicht überschritten wird.

Die neue Verordnung verpflichtet zur Überstundenvergütung, wenn das Gehalt bis zu $1.059 pro Woche beträgt und entpflichtet davon, wenn es $143.988 pro Jahr überschreitet. Dazwischen gilt eine Mehrfaktorenabwägung, die auf die Art der Tätigkeit abstellt. Blue Collar-Personal ist zur Sondervergütung berechtigt, White Collar-Personal meist nicht. Für Arbeitnehmer günstigere Verträge sind zulässig. Die Aktualisierung tritt erst nach Abschluss der Anhörung der Öffentlichkeit in Kraft.
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Beeinflussung der Onlinemoderation verboten
09. Sept. 2023
CK - Washington.   Das Bundesberufungsgericht des Fünften Bezirks der USA in New Orleans erließ am 8. September 2023 eine modifizierte Verbotsverfügung, die dem Staat untersagt, die Moderation von Veröffentlichungen in Onlineforen zu beeinflussen:
Defendants, and their employees and agents, shall take no actions, formal or informal, directly or indirectly, to coerce or significantly encourage social-media companies to remove, delete, suppress, or reduce, including through altering their algorithms, posted social-media content containing protected free speech. That includes, but is not limited to, compelling the platforms to act, such as by intimating that some form of punishment will follow a failure to comply with any request, or supervising, directing, or otherwise meaningfully controlling the social-media companies’ decision-making processes.
Die Regierung und Oberste Bundesbehörden sollen seit dem Jahr 2020 die Foren beeinflusst haben, ihre Algorithmen anzupassen, um Antivaxxer, Schwurber und COVID-Leugner weniger Gewicht zukommen zu lassen. Dabei sollen sie laut der Begründung in Missouri v. Biden auch Druck dergestalt ausgeübt haben, dass das Ignorieren amtlicher Bitten Folgen für die Foren haben könnte.
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Folgen des Vertragsauslaufens: Expiration
07. Sept. 2023
CK - Washington.   Das Recht zur ordentlichen und außerordentlichen Kündigung sollte in jedem US-Vertrag für beide Parteien geregelt werden. Sie können sich nicht darauf verlassen, dass ein solches Recht nach einem anwendbaren Gesetz der Einzelstaaten der USA greift. Außerdem ist an die Folgen des automatischen Vertragsendes nach einer bestimmten Vertragslaufzeit zu denken, wenn dieses als Option vereinbart ist. Welche Klauseln überleben das Vertragsende?

Diese Folgen erörterte am 7. September 2023 das Bundesberufungsgericht des Achten Bezirks der USA in St. Louis im Revisionsentscheid Nebraska Furniture Mart, Inc. v. Guardsman US LLC. Ein Versicherer sollte einem Einzelhändler einen Teil der Versicherungsprämien erstatten, die der Einzelhändler von Kunden erlangte, denen er Produktversicherungen aufschwätzen konnte, und zwar zur Förderung der Werbung dieser Versicherungsdienstleistungen.

Als der Vertrag zwischen den Beteiligten durch Expiration auslief, forderte der Einzelhändler diese Rabatte ein. Die Revision entschied, dass die Versicherungswerbepflicht ausgelaufen sei, und keine weitere Werbung zu finanzieren sei. Mit dem Auslaufen des Vertrags sei auch die Pflicht zur Finanzierung erloschen. Eine Vertragsauslegung der vom Händler gewünschten Art, die Finanzierung sei ein Rabatt oder eine Vergütung, sei nach Prüfung der Auslegungsregeln nicht angebracht. Die Zahlungspflicht könne deshalb das Vertragsende nicht überleben.
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Ungeliebtes Wandgemälde versteckt: Haftung?
17. Aug. 2023
CK - Washington.   Eine juristische Fakultät stieß sich an zwei Wandgemälden und wollte sie unter stoffhaltigen Schonfliesen verstecken. Der Künstler verlangte rechtliche Abhilfe nach dem Visual Artists Rights Act of 1990, Pub. L. No. 101-650 (tit. VI), 104 Stat. 5089, 5128–33, durch eine Verbotsverfügung.

Sowohl das Untergericht als auch das Bundesberufungsgericht wiesen die Klage ab. Das Gesetz schützt die Rechte eines Künstlers auf Lebenszeit. Es erkennt ein moralisches Recht und ein Recht auf Integrität des Werks an.

In der Revision betonte das Bundesberufungsgericht des Zweiten Bezirks der USA in New York City im Fall Kerson v. Vermont Law School, Inc., am 18. August 2023, dass das Gesetz Kunstwerke vor Zerstörung und Veränderung schütze, nicht vor ihrem Verdecken. Der Gesetzgeber fordere die Beteiligten auf, eine Abwägung der gegenseitigen Interessen zu treffen. Die beabsichtigte Maßnahme trage diesen Rechnung, weil die Werke weder zerstört noch verändert würden.
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